pädagogisch-entwicklungspsychologische
Praxis für Lerntherapie
Legasthenie / LRS
Dyskalkulie / Rechenstörung
Qualitätskriterien für Lerntherapie
Die folgende Definition der WHO, herausgegeben in der International Classification of Deseases (ICD-10), klingt zwar sehr hölzern, trifft jedoch auf den Punkt und soll hier als Verständnisgrundlage dienen. Denn sehr häufig wird mit dem Begriff „Legasthenie“ nicht immer ein und dasselbe Phänomen assoziiert:
„Das Hauptmerkmal dieser Störung ist eine umschriebene (*1) und eindeutige Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, durch Visus-Probleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist
Mit Lesestörungen gehen häufig Rechtschreibstörungen einher. Diese überdauern oft bis in die Adoleszenz, auch wenn im Lesen einige Fortschritte gemacht wurden.
Kinder mit einer umschriebenen Lese- und Rechtschreibstörung haben in der Vorgeschichte häufig eine umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache. Zusätzlich zum schulischen Misserfolg sind mangelhafte Teilnahme am Unterricht und soziale Anpassungsprobleme häufige Komplikationen, besonders in den späteren Sekundarschuljahren.
Die Störung wird in allen bekannten Schriftsprachen gefunden, jedoch herrscht Unsicherheit darüber, ob ihre Häufigkeit durch die Art der geschriebenen Schrift (logographisch oder silbenbasiert) beeinflusst wird.“
(*1) Mit dem Begriff „umschrieben“ ist gemeint, dass sich die Störung einzig auf einen klar definierten Bereich bezieht, in diesem Falle das Lesen und das Schreiben, bei nicht beeinträchtigter Intelligenz.
Woran erkennt man Legasthenie?
Kinder oder Erwachsene mit einer LRS…
- haben Schwierigkeiten beim Zusammenlauten von Buchstaben zu Wörtern.
- müssen selbst häufig vorkommende Wörter immer wieder neu erlesen.
- lesen extrem langsam und machen häufig viele Fehler.
- haben große Mühe, alle Laute des gesprochenen Wortes zu identifizieren und aufzschreiben.
- haben mehr und ausgeprägtere Schwierigkeiten mit dem Rechtschreiben als ihre SchulkameradInnen.
Kinder mit LRS (Legasthenie) haben meist auch…
- Schwierigkeiten, sich in Deutsch zu konzentrieren.
- Motivationsprobleme.
- Schulangst und Schulunlust.
Vorsicht! Es gibt keine legastheniespezifischen Fehler! Verwechslungen von „b“ und „d“ sind kein Beweis für das Vorliegen einer Legasthenie. Kinder mit LRS machen lediglich mehr und vielfältigere Fehler als ihre Altersgenossen und sie haben hartnäckigere Schwierigkeiten mit dem Lesenlernen als andere Kinder.
Woher kommt Legasthenie?
Die exakten Ursachen sind heute zwar noch nicht restlos geklärt, es kann jedoch nach aktuellem Stand der Forschung davon ausgegangen werden, dass verschiedene Faktoren für das Auftreten einer Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung) verantwortlich sind. Mit großer Sicherheit sind dies einerseits genetische Einflüsse (Cardon et al., 1994, Grigorenko et al., 1997, Schulte-Körne et al., 1998) und andererseits verschiedene Defizite im Bereich der Sprachwahrnehmung und –verarbeitung im Gehirn (Manis et al., 1997; Schulte-Körne et al., 2001).
Wichtig erscheint im Zusammenhang mit der Verursachung der Legasthenie die deutliche Abgrenzung von allgemeinen akustischen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen, da Studien entsprechende Defizite nur für sprachliches nicht aber für nichtsprachliches Material belegen konnten (Schulte-Körne et al., 1998a). Nicht restlos geklärt ist zudem, inwieweit visuelle Defizite am Entstehen einer Legasthenie beteiligt sind.
Aus pädagogisch-psychologischer Sicht sind insbesondere die Befunde zu den Bereichen der Sprachwahrnehmung und -verarbeitung bedeutungsvoll, da sich Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb unter Einbeziehung ebensolcher Defizite anhand gängiger Schriftspracherwerbsmodelle – dem 2-Routenmodell des Lesens und dem Stufenmodell nach Frith – einleuchtend nachvollziehen lassen. Die Berücksichtigung der genannten Modelle zum Schriftspracherwerb in Kombination mit dem Wissen um die speziellen Defizite legasthener Kinder hat sich in der Förderung als besonders sinnvoll erwiesen (Schulte-Körne et al., 1998, Amorosa et al., 1994, Sheerer-Neuman, 1979).
Die Bereiche der Sprachwahrnehmung und –verarbeitung, die für das Erlernen des Lesens und Schreibens hohe Relevanz besitzen, jedoch bei LegasthenikerInnen Schwächen aufweisen sind:
Verbales Kurzzeitgedächtnis
Menschen mit Legasthenie haben besondere Schwierigkeiten mit dem Behalten lautsprachlicher Einheiten im Arbeitsspeicher (Jorm, 1979; Wimmer, Mayringer, Landerl, 1998).
Phonologische Bewusstheit
Lese-rechtschreibschwachen Kindern fehlt ein intuitives Wissen um den Aufbau der Sprache sowie die Funktion und Bedeutung der Laute für die Funktion und den Aufbau der Wörter. Es fällt ihnen schwer, Wörter in Silben zu zerlegen, Reime zu erkennen oder Regelhaftigkeiten bei der Verschriftlichung der Wörter automatisch und unbewusst zu erfassen (Liberman, Shankweiler et al. 1972; Lundberg et al. 1980; Wimmer et al. 1991; Klicpera & Gasteiger-Klicpera 1995; Shaywitz 1997).
„Schnelles Benennen“ (rapid naming)
Mit diesem Begriff ist der Zugriff auf das sogenannte phonologische Gedächtnis gemeint, also der schnelle Abruf von lautlichen Entsprechungen zu Objekten oder Buchstaben, nicht aber zu Ziffern. (Wimmer, 1993; Mayringer, Wimmer et al. 1998; Wolf 2000).
Spezifische Gedächtnisschwäche für schriftsprachliches Material
SchülerInnen mit Legasthenie haben besondere Schwierigkeiten, Wörter bzw. Buchstaben abzuspeichern, im Gegensatz zu beispielsweise graphischen Mustern (Schulte-Körne et al. 2003b).
Lautwahrnehmung- und Lautunterscheidung
Die Laute werden von LegasthenikerInnen zwar in der Regel richtig „gehört“ aber in Folge eines akustischen Informationsverarbeitungsdefizits (Manis et al. 1997; Schulte-Körne et al. 2001) nicht bewusst als unterschiedlich wahrgenommen.
Neurowissenschaftliche Befunde zeigen anhand bildgebender Verfahren (fMRI, PET, EEG, etc.), dass es funktionelle und neuroanatomische Unterschiede bei Legasthenikern im Vergleich zu normal lesenden Menschen gibt, die mit den obengenannten Fähigkeiten in Zusammenhang stehen.
Autor: Weigelt
Literaturempfehlungen / Wissenschaftliche Artikel
Empfehlenswerte Literatur über Legasthenie für Eltern:
von Suchodoletz, W.
Lese-Rechtschreibstörung (LRS) – Fragen und Antworten
Eine Orientierungshilfe für Betroffene, Eltern und Lehrer
Kohlhammer
Schulte-Körne, G.
Elternratgeber Legasthenie
Knaur
von Suchodoletz, W. (Hrsg.)
Therapie der Lese- Rechtschreib-Störung (LRS)
Traditionelle und alternative Behandlungsmethoden im Überblick
Kohlhammer Verlag
Warnke, A., Hemminger, U. & Plume, E.
Ratgeber Lese-Rechtschreibstörung
Hogrefe-Verlag
Nieberle, G.
Englische Rechtschreibung – Probleme deutschsprachiger Schüler
Verlag für kognitive Lernförderung
Sellin, K.
Wenn Kinder mit Legasthenie Fremdsprachen lernen
Reinhardt
Küspert, P.
Wie Kinder leicht lesen und schreiben lernen
Oberstebrink Verlag, Ratingen-Lintorf
Fachliteratur zur Legasthenie für PädagogInnen, PsychologInnen und Ärzte:
Klicpera, C., Schabmann, A. & Gasteiger-Klicpera, B.
Legasthenie – LRS
Modelle, Diagnose, Therapie und Förderung
Ernst Reinhardt
Schulte-Körne, G. & Warnke, A.
Legasthenie
Springer
von Suchodoletz, W. (Hrsg.)
Therapie von Entwicklungsstörungen
Was wirkt wirklich?
Hogrefe
Warnke, A., Hemminger, U. & Plume, E.
Lese-Rechtschreibstörungen
Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie
Hogrefe
Warnke, A., Hemminger, U., Roth, E. & Schneck, S.
Legasthenie – Leitfaden für die Praxis
Hogrefe
Hasselhorn, M., Schneider, W. & Marx, H. (Hrsg.)
Diagnostik von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
Tests und Trends 1. Göttingen
Hogrefe
Tacke, G.
Lese-Rechtschreibschwäche. Materialien Grundschule
Landesinstitut für Erziehung und Unterricht
Stuttgart
von Suchodoletz, W.
Therapie der Lese- Rechtschreib-Störung (LRS)
Traditionelle und alternative Behandlungsmethoden im Überblick
Kohlhammer
Klicpera,Ch. & Gasteiger-Klicpera,B.
Lesen und Schreiben
Entwicklungen und Schwierigkeiten.
Bern: Huber
Klicpera,Ch. & Gasteiger-Klicpera,B.
Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten
Entwicklung, Ursachen, Förderung.
Weinheim: Beltz
Wissenschaftliche Artikel
Legasthenie – Verursachung
Speech_perception_deficit_in_dyslectic_adults.pdf
The_role_of_phonological_awareness_speech_perception and_auditory_temporal_processing_for_dyslexia.pdf
Originalarbeit:
von Suchodoletz, W.; Berwanger, D. und Mayer, H. (2004). Die Bedeutung auditiver Wahrnehmungsschwächen für die Pathogenese der Lese-Rechtschreibstörung.
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 32, 19-27
Legasthenie – Intervention
Übersichtsarbeit:
von Suchodoletz, W. (2010).
Konzepte in der LRS-Therapie.
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 38, 329-339
Evidenzbasierte LRS-Förderung.pdf
Kurzzeitintervention_bei_Lese-Rechtschreibstoerung.pdf
Übersichtsarbeit:
von Suchodoletz, W. (2009).
Zur Bedeutung auditiver Wahrnehmungsstörungen für kinder- und jugendpsychiatrische Störungsbilder.
Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 37, 163-172
LRS und Dyskalkulie
Hemminger U., Roth, E., Schneck, S., Jans, T., Warnke, A. (2000).
Testdiagnostische Verfahren zur Überprüfung der Fertigkeiten im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen.
Eine kritische Übersicht in der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 28 (3) 2000, Bern
Autor: Weigelt
Die Definition der Rechenstörung (Dysklakulie) durch die WHO, herausgegeben in der International Classification of Deseases – ICD-10, lautet:
„Diese Störung beinhaltet eine umschriebene Beeinträchtigung (*1) von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie und Differential- sowie Integralrechnung benötigt werden.“
Wie im Falle der Legasthenie erscheint auch diese Definition der WHO sehr statisch und „emotionslos“, obgleich diese Lernschwäche beträchtlichen Einfluss auf die persönliche und berufliche Entwicklung eines Menschen hat. Die genannten grundlegenden Fertigkeiten spielen im alltäglichen Leben selbst sehr junger Kinder bereits eine wichtige Rolle, z.B. wenn ein Kind sich gerne eine Süßigkeit von seinem Taschengeld leisten möchte und einfach nicht abschätzen kann, ob sein Geld dafür noch reicht, nachdem es sich die wichtigen neuen Sticker gekauft hat.
Eine Beeinträchtigung dieser grundlegenden Fertigkeiten führt im Verlauf der Grundschule bei den betroffenen Kindern zu immerwiederkehrenden Frustrationserlebnissen, die unbestreitbar auch großen Einfluss auf das Erlernen der sogenannten höheren mathematischen Fertigkeiten haben.
Dennoch dient die ICD-10-Definition als Grundlage für die Diagnose und ist hilfreich für ein gemeinsames (über Ländergrenzen hinweg) Verständnis dieses Phänomens.
(*1) Mit dem Begriff „umschrieben“ ist gemeint, dass sich die Störung einzig auf einen klar definierten Bereich bezieht, in diesem Falle das Rechnen, bei nicht beeinträchtigter Intelligenz.
Autor: Weigelt
Woran erkennt man Dyskalkulie?
Im Grunde gibt es keine dyskalkuliespezifischen Fehler, anhand derer man betroffene Kinder auf den ersten Blick erkennen könnte. Einige Auffälligkeiten sollten jedoch Anlass für eine genauere Abklärung durch eine Fachmann/eine Fachfrau geben:
Kriterium: „Kompensationsstrategien“
Die wohl auffallendste Kompensationsstrategie ist das „zählende Rechnen“.Während andere Kinder natürlicherweise, nach und nach zu allen Zahlen im Zahlenraum 10 Zahlzerlegungen abspeichern und bei Bedarf automatisch abrufen, verharren rechenschwache Kinder auf der Stufe des zählenden Rechnens.
Auch wenn diese Kinder nicht offen mit Hilfe der Finger zählen, so tun sie dies häufig verdeckt. Erkennbar ist diese fehlerhafte Strategie an den immer wiederkehrenden „Fehlern-um-1“, d.h. das Ergebnis ist entweder um eins zu klein oder um eins zu hoch.
Kriterium: „Zeit“
Da Kinder mit Dyskalkulie aufgrund Ihrer fehlerhaften Zahlvorstellung zeitraubende Kompensationstrategien anwenden, fallen sie besonders dadurch auf, dass sie für ihre Rechnungen deutlich mehr Zeit benötigen als ihr MitschülerInnen.
Kriterium: „Mangelndes Operationsverständnis“
Da Rechnen für Kinder mit Rechenschwäche in erster Linie aus Vorwärts- und Rückwärtszählen besteht, ist die Entwicklung des sogenannten Operationsverständnisses enorm erschwert. Während Plus und Minus noch gerade eben als dazugeben bzw. dazuzählen oder weggeben/wegzählen verstanden werden können, bleiben Multiplikation und Division für diese Kinder rätselhaft und undurchschaubar. Multiplikations- und Divisionsaufgaben werden häufig in einem Akt von geradezu übermenschlicher Leistung mühevoll auswendig gelernt. Manche Kinder sind jedoch so gute „Auswendiglerner“, dass mit Einführung des kleinen 1×1 nicht selten der Eindruck entsteht, das Kind habe seine Schwäche „überwunden“.
Kriterium: „Keine Vorstellung vom Dekadischen System“
Da rechenschwache Kinder kaum eine bis gar keine Vorstellung von Mengen haben, verstehen Sie auch nicht den sogenannten Bündelungsgedanken des dekadischen Zahlensystems, in dem die Menge Zehn von allergrößter Bedeutung für den Stellenwert von Einern, Zehnern, Hundertern etc. ist.
Eine der möglichen Folgen ist, dass mit Einführung der schriftlichen Additions- oder Subtraktionsverfahren sozusagen ein „Zwischenhoch“ eintritt, sich aber schnell herausstellt, dass die Kinder einen rein mechanischen Umgang mit dem „geborgten Einer“ pflegen, ohne Einsicht in das dahinterstehende Konzept.
Mit steigender Komplexität der schriftlichen Additions- oder Subtraktionsaufgaben verschlechtern sich dann auch die Leistungen der Kinder wieder.
Kriterium: „Blockade bei Sachaufgaben“
Die mangelhafte Mengenvorstellung gepaart mit dem Unverständnis für mathematische Operationen und deren Übertragbarkeit auf alltägliche Situationen, führt nicht selten zur völligen Verweigerung bei Sachaufgaben. Auffällig ist, dass, sofern ein Kind nicht völlig blockiert, es nicht selten zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen bei Sachaufgaben kommt.
Beispiel: Auf einem Schiff befinden sich 350 Tonnen Ladung, 25 Seeleute und drei Passagiere. Wie alt ist der Kapitän? Antwort des Kindes:378 Jahre. Hier zeigt sich einerseits, dass rechenschwache Kinder dazu neigen, bei Sachaufgaben die Zahlen im Text einfach irgendwie miteinander zu verrechen, um wenigstens ein Ergebnis aufschreiben zu können. Andererseits wird deutlich, das die Kinder in Hinblick auf das Ergebnis keinen Realitätsbezug herstellen können.
Autor: Weigelt
Was sind die Ursachen der Rechenstörung (Dyskalkulie)?
Im Gegensatz zur Lese-Rechtschreibstörung steckt die Ursachenforschung für die Dyskalkulie noch in den Kinderschuhen. Relativ gut gesichert scheinen wissenschaftliche Befunde zur Existenz bestimmter Vorläuferfertigkeiten, die zum Erwerb des Rechnens notwendig sind. Nicht hundertprozentig belegt sind hingegen Genetische Einflüsse.
Es gibt allerdings eindeutige Hinweise dafür, dass die Fähigkeit zu Rechnen in unserem Gehirn lokalisiert werden kann und angeboren ist. Neben einer Vielzahl neuropsychologischer Befunde ist diese Theorie schon aus evolutionspsychologischer Sicht einleuchtend, denn bereits vor einigen Tausend Jahren war es für das Überleben der Spezies Mensch von fundamentaler Bedeutung, Mengen und Mengeverhältnisse beurteilen zu können, beispielsweise wenn sich der Urzeitliche Mensch auf der Jagd einer Gruppe von Angreifern gegenübersah. Zwei Angreifer hätte man eventuell noch bewältigen können, während drei oder vier eindeutig Anlass zu Flucht gewesen sein sollten.
Als relevante Vorläuferfertigkeiten für das Rechnen sind beispielsweise bestimmte Gedächtnisleistungen oder die simultane Mengenerfassung und das Verständnis der Zählprinzipien anzusehen. Bereits Babys im Alter von neun Monaten haben ein grundlegendes Verständnis für einfache Additons- und Subtraktionsaufgaben. (Wynn, 1990)
Jüngere Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder mit Rechenschwierigkeiten eingeschränkte Fähigkeiten bei der simultanen Mengenerfassung haben (Landerl & Butterworth, 2003). Während Mengen bis fünf normalerweise
simultan, d.h. ohne zu zählen und mit einem Blick, erfasst werden können, haben dyskalkulische Kinder hier Schwierigkeiten. Andere Studien haben außerdem den Einfluss des Arbeitsgedächtnisses auf die Rechenleistungen belegen können (Geary et al., 1999; Krajewski & Schneider, 2004).
Kinder können häufig schon geraume Zeit vor Schuleintritt zählen, allerdings mehr im Sinne eines Zahlwörter Aufsagens, ohne dass sie dabei eine konkrete Vorstellung davon haben, dass Zahlen mit Mengen verknüpft sind. Die Erkenntnis also, dass natürliche Zahlen die Anzahl von Objekten in einer Menge repräsentieren. Um zu verstehen, dass Kardinalzahlen unveränderlich gleiche Mengen repräsentieren, ist es außerdem notwendig, den Begriff der Gleichheit, aber auch relationale Begriffe der Mächtigkeit wie „größer/ kleiner“ oder „mehr/ weniger“ erfasst zu haben (z.B. Gaidoschik, 2003; Wehrmann, 2003). Auch in diesem Bereich zeigen rechenschwache Kinder Defizite gegenüber ihren Altersgenossen.
Das derzeit gängigste „multikausale Verursachungsmodell“ vereint mehrere Faktoren zur Erklärung von Rechenschwierigkeiten. Einige davon sind: hirnorganische, funktionale Beeinträchtigungen, ein Mangel an notwendigen
Vorläuferfertigkeiten, lückenhafte mathematische Kenntnisse, eine rezeptive Sprachstörung, Aufmerksamkeitsdefizite, Minderbegabung und ein Mangel an Wissenskopplung. Die einzelnen Faktoren können gleichzeitig auftreten und sich jeweils auf andere auswirken.
Autor: Weigelt
Literaturempfehlungen
Bücher über Dyskalkulie für Eltern
Born, A. & Oehler, C.
Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich fördern
Ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten
Kohlhammer, 2009, 3.überarbeitete und erweiterte Auflage
Jacobs, C. & Petermann, F.
Ratgeber Rechenstörungen
Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher
Hogrefe
Gaidoschik, M.
Rechenschwäche-Dyskalkulie
Eine unterrichtspraktische Einführung für LehrerInnen und Eltern
oebv&htp
Dehaene S.
Der Zahlensinn oder Warum wir rechnen können
Birkhäuser
Fachliteratur über Dyskalkulie für PädagogInnen, PsychologInnen und andere interessierte Berufsgruppen:
Landerl, K./Kaufmann, L.
Dyskalkulie: Modelle, Diagnostik, Intervention
Reinhardt
von Aster, M./Lorenz, J.H. (Hg.)
Rechenstörungen bei Kindern
Neurowissenschaft, Psychologie, Pädagogik
Vandenhoeck&Ruprecht
Gaidoschik, M.
Rechenschwäche-Dyskalkulie
Eine unterrichtspraktische Einführung für LehrerInnen und Eltern.
oebv&htp
Dehaene S.
Der Zahlensinn oder Warum wir rechnen können
Birkhäuser
Born, A. & Oehler, C.
Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich fördern
Ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten
Kohlhammer, 2009, 3.überarbeitete und erweiterte Auflage
Gaidoschik, M.
Rechenschwäche vorbeugen
Das Handbuch für Lehrerinnen und Eltern
oebv&htp
Lorenz J. H. / Radatz H.
Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht
Schroedel
Grissemann H.
Grundlagen und Praxis der Dyskalkulietherapie
Huber
Neumärker K.-J. / v. Aster M.
Disorders of Number Processing and Calculation Abilities
A Multidimensional Approach in European Child & Adolescent Psychiatry 9 (2) 2000, Darmstadt
Autor: Weigelt/Bähring
Basierend auf der oft langjährigen Erfahrung seiner Mitglieder in der Förderung lese-/rechtschreib- und/oder rechenschwacher Kinder hat der Berufsverband akademischer LRS-TherapeutInnen – BALT Qualitätskriterien erstellt, die Betroffenen als Richtlinie bei der Auswahl eines geeigneten Therapeuten/einer geeigneten Therapeutin dienen sollen.
1. Ausbildung der Therapeuten/der Therapeutin
2. Anwendung wissenschaftlich überprüfter und effizienter Fördermethoden
3. Kooperationsbereitschaft des Therapeuten/der Therapeutin mit anderen Fachleuten
4. Therapieplanung
5. Aktualität der Therapiemethoden und Überprüfung des Lernerfolges
Qualitätskriterien im Detail
Welche Aspekte sind für eine qualitativ hochwertige Legasthenietherapie wichtig?
1. Ausbildung des Therapeuten:
Voraussetzung für eine sinnvolle Behandlung der Lese-Rechtschreibstörung ist, dass Lehrer und Therapeuten, die eine solche durchführen, über ein fundiertes Wissen bezüglich Erscheinungsbild, Diagnostik, Behandlungsmöglichkeiten und Fördermaßnahmen verfügen. Diese Vorraussetzung ist dann gegeben, wenn der Therapeut einerseits aus einem psychologischen, pädagogischen, therapeutischen oder medizinischen Grundberuf kommt und andererseits über eine wissenschaftlich orientierte Zusatzausbildung verfügt. Der wissenschaftliche Beirat des deutschen Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie e.V. hat Leitlinien für die Ausbildung von Legasthenietherapeuten herausgegeben. mehr…
2. Angewandte Therapiemethoden:
In der Therapie von lese-rechtschreibschwachen Kindern sollten nur solche Methoden zur Anwendung kommen, deren Wirksamkeit belegbar ist. Der Bericht von einzelnen, erfolgreichen Förderungen reicht hierfür nicht aus.
Therapieansätze, für deren Effizienz es nach derzeitigem Stand der Wissenschaft Belege gibt, sind einerseits das Training der phonologischen Bewusstheit als Basiskompetenz für den Schriftspracherwerb und andererseits symptomorientierte Verfahren, d.h. Übungen für das Lesen und Schreiben unter Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Kindes.
3. Einbeziehung der Eltern und interdisziplinäre Kontakte
Da mit der Lese-Rechtschreibstörung häufig auch andere Störungen einhergehen, ist es für einen guten Therapeuten notwendig, zusätzliche Schwächen, z.B. im Bereich der Aufmerksamkeit, Motivation, Sprache, Motorik oder Verhalten, zu berücksichtigen und Kontakte mit Fachleuten aus diesen Bereichen für die Eltern herzustellen.
Zudem ist auch der regelmäßige Kontakt mit der zuständigen Lehrperson ein wichtiger Aspekt. Und nicht zuletzt sollten auch die Eltern in die Therapie des lese-rechtschreibschwachen Kindes durch umfassende Information und Beratung eingebunden werden.
4. Therapieplanung:
Der Therapeut sollte aufgrund seiner Ausbildung in der Lage sein, die Therapie für sein Förderkind nach detaillierter Erhebung der aktuellen Lese-Rechtschreibleistung des Kindes individuell zu planen. Die Therapie sollte langfristig angelegt sein, realistisch ist ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Therapieangeboten, die schnelle Hilfe versprechen, sollte man skeptisch gegenüberstehen. Ebenso sei hier der Hinweis gegeben, dass lediglich speziell ausgebildete Mediziner und Psychologen befugt sind, Legasthenie zu diagnostizieren und zu attestieren. Ein simpler Computertest ist für eine Diagnose nicht ausreichend, auch hier ist Vorsicht geboten.
5. Aktualität der Therapiemethoden und Überprüfung des Lernerfolges:
Der Therapeut sollte unbedingt den Lernerfolg mit Hilfe von standardisierten Lese-Rechtschreibtests und anhand der schulischen Leistungen überprüfen und seine Therapieplanung gegebenenfalls modifizieren. Auch die psychische Situation des Kindes sollte sich nach Möglichkeit bessern.
Ein auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierendes Therapieprogramm kann lediglich dem gegenwärtigen Kenntnisstand entsprechen und besitzt keine für immer währende Gültigkeit, daher sollte der/die LRS-Therapeut/in regelmäßig entsprechende Weiterbildungen besuchen.
Als weiterführende Literatur für interessierte Eltern und Fachleute ist das Buch „Therapie der Lese-Rechtschreibstörung (LRS)“ herausgegeben von Waldemar von Suchodoletz, erschienen im Kohlhammer-Verlag, zu empfehlen.
Autor: Weigelt
ToDo:
– Links Welche?