pädagogisch-entwicklungspsychologische
Praxis für Lerntherapie
2-Routen-Modell nach Coltheart (1978)
Mit seinem neuroanatomischen Modell zum Leseerwerb erklärt Coltheart (1978) den Prozess des Lesenlernens anhand zweier Routen. Zunächst werden Buchstabe-Laut-Beziehungen erlernt und gespeichert. Es bildet sich damit die so genannte indirekte Route aus, mit Hilfe derer neue, unbekannte Wörter synthetisierend erlesen werden. Durch multiple Vernetzungen zwischen dem visuellen und dem phonologischen Lexikon können Laute und Buchstaben (Symbole) einander zugeordnet werden. Im Verlauf des Lesenlernens werden immer größere Einheiten in beiden Lexika gespeichert, sodass in der Folge auch ganze Wörter mit ihrer lautsprachlichen Entsprechung gespeichert und jederzeit abgerufen werden können.
Mit zunehmender Lesekompetenz erfolgt das Lesen in erster Linie nurmehr über den direkten Zugriff auf das visuelle Lexikon, dadurch erhöht sich die Lesegeschwindigkeit – die Fähigkeit zur direkten automatischen Worterkennung bildet sich aus. Das Lesen über die indirekte Route, auch phonologische Route genannt, wird nun nur noch zum Erlesen neuer, unbekannter Wörter benötigt, wobei auch nicht mehr das mühsame Erlesen einzelner Buchstabe-Laut-Verbindungen notwendig ist, sondern bereits große Mengen an gängigen Sprechsilben als Einheiten abrufbar werden.
Das Erscheinungsbild der Legasthenie erklärt sich anhand dieses Modells über ein Defizit in der indirekte Route. Auch die Leseförderung sollte daher darauf abzielen, zunächst das Lesen über die indirekte Route zu festigen, bevor die automatische (direkte) Worterkennung forciert wird. Wird das Lesen über die direkte Route zu früh „verlangt“, führt dies zu häufigen Lesefehlern durch kompensatorisches Raten.
Autor: Weigelt